Die Musik, die das Ensemble AVRAM mit dieser ersten CD vorstellt, ergreift von Anfang an. Von Musikstück zu Musikstück wird deutlicher, welcher Reichtum in der Musik der Religionen des Judentums, des Christentums und des Islam über die Jahrhunderte gewachsen ist und wie fruchtbar die Zeiten für die Menschen waren, in denen sich die Musiktraditionen berührten und wechselseitig beeinflussten. Die Musik des Ensembles AVRAM ist entstanden in einem Prozess der Annäherung an das gemeinsame Thema und das gemeinsame Vorhaben: Einen Beitrag zu leisten dafür, das Gemeinsame und das Schöne in den Religionen Abrahams in den Vordergrund zu stellen und sich immer wieder einzulassen auf die Unterschiede, die die Traditionen herausgebildet haben.
Die unterschiedliche Herkunft der Musiker und Musikerinnen aus den Bereichen der Klassik, des Jazz oder der Weltmusik sorgt für die nötige Reibung, um die Spannung zu erzeugen, die erforderlich ist, Funken zu erzeugen und überspringen zu lassen auf die Hörer und Hörerinnen.
Die Begeisterung im Konzert zeigt, dass das Experiment geglückt ist.
01. QUI SUNT HI Wer sind diese, den Wolken gleich?
lateinisch, aus dem Ordo Virtutum Hildegard von Bingen 1098–1179
02. AVRAM AVINU Abraham, unser Vater
jüdisch/sephardisch, traditionell
03.TALA AEL BEDRU ALEYNA Über uns ist der Vollmond erschienen
arabisch traditionell, zum arabischen Neujahrsfest
04. ROSA DAS ROSAS Rose der Rosen
aus den `Cantigas de Santa Maria´ König Alfonso X.el Sabio 1221–1284 galizisch
05. BÂD O ÂB Wind und Wasser
Dschelaleddin Rumi 1207-1273 aus dem Diwân´e Schams
Musik: traditionell
Bearbeitung: Mohsen Poor Hosseini, persisch
06. BÂNG-E ROBÂB Ruf der Laute
Dschelaleddin Rumi 1207–1273 aus dem Diwân´e Schams, persisch
Musik: Isfahan – Barock
Bearbeitung: Ali Ahmadifar, Mohsen Poor Hosseini
07. HICAZ MEDHAL
instrumental – klassisch türkisch
08. LA SIRENA (Die Meerfrau)
jüdisch/sephardisch, traditionell
09. CANTABEN ELS OCELLS Es sangen die Vögel
Troubadourmelodie: Guiraut de Bornelh, katalanisch
Ramon Llull 1232–1316
10. YAH RIBON Allmächtiger Herr aller Welten
Israel ben Moses Najara 1555–1628, aramäisch
11. UNZER TOIRELE Unsere Thora
Klezmer
12. BEN YÜRÜREM YANE YANE In Leidenschaft fi el tief mein Herz
Yunus Emre ca.1241–1321 Melodie anonym, türkisch
13. AVRIX, MI GALANCIA Öffne mir, meine Liebe
jüdisch/sephardisch, traditionell
Rezitation
14. aus MASNÂWI
und DIWÂN-E SCHAMS
Dschelaleddin Rumi
15. aus VOM HEIDEN UND DEN
DREI WEISEN
Ramon Llull
16. RINGPARABEL
aus NATHAN DER WEISE
Gotthold Ephraim Lessing
HILDEGARD VON BINGEN, Benediktineräbtissin, Visionärin, Medizinerin, Musikerin, Universalgelehrte, war die erste Vertreterin der deutschen Mystik des Mittelalters. Die berühmte Nonne predigte als erste Frau öffentlich und genoss bei geistlichen, wie bei weltlichen Würdenträgern hohes Ansehen. In ihren kühnen und freien Kompositionen drückt sich die starke Bewegung ihrer inneren Schau aus. Ihren Liedern entströmt, was dem Wort unaussprechlich bleibt. Ihr ORDO VIRTUTUM ist das erste schriftlich überlieferte Mysterienspiel Europas. Es schildert den Entscheidungskampf zwischen Gut und Böse, den göttlichen Tugenden und dem Diabolus, der auch in jeder menschlichen Seele stattfindet. Selbst die Weisen und Propheten wenden sich fragend den himmlischen Ereignissen zu. Antwort erhalten sie von den göttlichen Kräften, den Tugenden: Sie verweisen auf die Würde des Menschenleibes, in welchem sie erstrahlen und auf Christus, dessen `edelsteingeschmückten Leib´ sie schufen als leuchtendes Vorbild, als den Heiler der Menschheit.
ISRAEL BEN MOSES NAJARA stammte aus Damaskus und war eines der berühmten Mitglieder der Kabbala- Schule von Safed im Norden Galiläas. Hier war nach der Vertreibung der Juden aus Andalusien eines der großen Zentren jüdischer Gelehrsamkeit entstanden. Najara war als Rabbi in Gaza tätig und soll an die sechshundert Hymnen in verschiedenen Sprachen gedichtet haben, die er gewöhnlich mit arabischen Melodien unterlegte. YAH RIBON, ein Lobeshymnus an Gott in aramäischer Sprache ist ein Hauptthema der Shabbat- Liturgie und wird an Freitagabenden überall auf der Welt gesungen. Dieser Tisch- Hymnus wird beschrieben als Brücke zwischen den Menschen und dem Göttlichen, der zugleich ernsthaftes Gebet und fröhlicher Jubel ist.
JOHANN SEBASTIAN BACH, der überragende Komponist des Barock, der sein gesamtes Schaffen dem Lobe Gottes widmete, schuf ein gewaltiges Werk von vollendeter architektonischer Harmonie und großer seelischer Innigkeit. In seinen Arien drückt sich sehr oft die leidenschaftliche Sehnsucht der menschlichen Seele nach größtmöglicher Gottesnähe aus. (`Ich hab dich in mir verschlossen...´,`Sein Arm wird mich aus Lieb´, mit sanftmutsvollem Trieb und größter Zärtlichkeit umfassen, er soll mein Bräutigam verbleiben...´,` Du in mir und ich in Dir...´)Die Unio Mystica, das Einswerden mit Gott, ist das Ziel aller Mystiker und so steht Bach mit seiner Braut- und Liebesmystik den großen Meistern in Ost und West sehr nahe. In dieser Arie wundert sich Maria darüber, als niedrige `Magd Gottes´, als unwürdiger Mensch, zur Gottesmutterschaft berufen zu sein und somit in den Zustand größtmöglicher Gottesnähe zu gelangen.
DSCHELALEDDIN RUMI, genannt Maulana (persisch) / Mevlana (türkisch)` unser Meister´, war einer der größten persisch sprachigen Dichter, Sufi - Mystiker und Gelehrten. In seinen hinreißenden Versen sind mystische Trunkenheit und Extase die Wege zur Vereinigung mit dem göttlichen Geliebten. - `Nur Liebe, nur Liebe - wir haben sonst kein Werk!´ - Maulana erfand den später berühmt gewordenen Wirbeltanz der Derwische; Musik und Tanz waren ihm Mittel, das Unaussprechliche der schöpferischen Liebe auszudrücken. In diesem Lied ist der Dichter selbst die Laute (Robâb), die vom göttlichen Freunde zum Klingen gebracht wird. Durch ihren Gesang überwindet die Laute den Schmerz, den ihr die Trennung vom Geliebten im irdischen Dasein bereitet. Alle Menschen, die diese Liebe empfinden - gleich welcher Religion und Nation, verstehen die Sprache der Laute.
RAMON LLULL (Raimundus Lullus) war einer der ersten Troubadours des spanisch/ südfranzösischen Raums und Gelehrter am Hofe König Jaimes I. in Palma de Mallorca. Nach mehreren visionären Erlebnissen stellte er sich in den Dienst Christi und verfolgte zeitlebens das Ziel, die drei monotheistischen Religionen miteinander zu versöhnen. In seinem Buch vom Heiden und den drei Weisen schilderte Lullus den regelmäßig stattfindenden freiheitlichen, gleichberechtigten und respektvollen Dialog der drei Religionsvertreter... Ehe sich die drei Weisen nach ihrem Gespräch in aller Freundschaft trennen, beschließen sie, das Religionsgespräch solange fortzusetzen, „bis wir alle drei uns zu einem einzigen Glauben und einer einzigen Religion bekennen und bis wir einen Weg finden, wie wir einander am besten ehren und dienen können, sodass wir zur Eintracht gelangen. Denn Krieg, Wirrsal, Missgunst, Unrecht und Schande hindern die Menschen daran, sich auf einen Glauben zu einigen.“… Als „christianus arabicus“ mit der arabischen Kultur vertraut, schuf er eine Lyrik, die jener der großen orientalischen Mystiker nicht nachsteht.
YUNUS EMRE, der berühmte türkische Mystiker und Dichter, war einer der ersten, die ihre Verse in türkischer Sprache schrieben. Nachdem er vierzig Jahre lang in den Diensten eines Sufi- Meisters gestanden hatte, wurde er in die Geheimnisse der Mystik eingeweiht und lebte fortan als Derwisch, als `Bettler´, welchem materieller Besitz gleichgültig ist, oder bildlich, der seine Armut gegenüber dem Reichtum Gottes erkennt. Viel ist von seiner Biografie nicht überliefert. Seine mystischen Gedichte sind alle als Liedersammlungen überliefert. Diese Gesänge werden traditionell von den Sufi- Orden praktiziert.
ALFONSO X., EL SABIO (Der Weise), König von Kastilien und Leon, war einer der gelehrtesten Fürsten des Mittelalters. Politisch wenig erfolgreich, war er ein großer Förderer von Kunst, Literatur und Wissenschaft, dichtete und schuf juristische, philosophische und astronomische Werke. In Toledo gründete er eine Übersetzerschule, in der Juden, Moslems und Christen gemeinsam das arabische, jüdische und klassisch griechische Wissen für das christliche Europa übersetzten. Auch veranlasste er die Sammlung der Cantigas de Santa Maria, die mit über vierhundert Cantigas eine der größten mittelalterlichen Liedersammlungen ist. Mehrere der galizischen Lieder (Cantigas) zu ehren der Jungfrau Maria werden König Alfons selbst zugeschrieben.
LIEDER DER SEFARDIM In den Zeiten der maurischen Herrschaft im mittelalterlichen Andalusien, besonders jener der Kalifen von Córdoba, lebten Moslems, Juden und Christen jahrhundertelang in gegenseitiger Toleranz. Es bestand ein reicher kultureller Austausch, in dem sich Al Andalus zu einer Hochburg der Künste und Wissenschaften entwickelte und reiche Wirtschafts- und Sozialstrukturen schuf. Die spanischen Juden, die Sefarden, sangen ihre Volkslieder in der judeo- spanischen Mundart Ladino. In ihren Liedern verschmolz die eigene Kultur mit arabischen Liedformen und Elementen der altspanischen Cantigas. Nach der Vertreibung der Juden während der `Reconquista´, ließen sich viele Sefarden in Nordafrika, dem Balkan und vor allem der Türkei nieder. Ihre Musik nahm das musikalische Kolorit der jeweiligen Wahlheimat an. Vor allem in der Türkei blieben die Sefarden von weiteren Verfolgungen verschont. In Istanbul gibt es noch heute eine größere, jüdisch- sefardische Gemeinschaft. In der älteren Generation wird nach wie vor Ladino gesprochen.
Schirin Partowi
Aufnahme, Mischung,
Mastering
Studio Von Buktu, Wuppertal
Produziert von Tim Buktu
Aufnahme in der Alten Kirche, Essen
studio@timbuktu.
de
| www.timbuktu.
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Herstellung
OK Media
1. Auflage Juli 2011
© Klartext Verlag, Essen 2011
ISBN 9783837506488
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Gesamtidee und Koordination
Willi Overbeck
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